32nd International
Guitar Festival Iserlohn 2024

28th ofJuly - 3rd ofAugust 2024

with the 13th MARTINEZ-Competition

Sprache: Deutsch Language: English
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Symposion 2007 - Erlebnisbericht eines Teilnehmers

Von Gangolf Hontheim, Lebach (Saar)

Nachdem ich im letzten Jahr zusammen mit meinem Duo-Partner Günter Weber ("Duo Catalán") über das 15. Symposion in Iserlohn berichtet habe (vgl. GA IV/06), möchte ich mich - gerade aus dem Blickwinkel der Erfahrung und des Vergleichs - auch über die diesjährige Veranstaltung äußern.

Zunächst zum äußeren Rahmen: Mit gewohnter Solidität hatte Thomas Kirchhoff auch diesmal alles im Griff, sowohl die vorbereitende als auch die begleitende Organisation. Von der Unterkunft bis zur Verpflegung , die wie gewohnt immerhin drei Buffet-Mahlzeiten und den Nachmittagskaffe mit Kuchen einschließt, von der Organisation bis zur Einteilung der Einzel-, Duo- und Gruppenunterrichte blieben keine Wünsche offen. Die Anlage "Haus Orthlohn", die Tagungsstätte der Evangelischen Akademie, bildete mit ihrem Interieur ebenso wie mit ihrer herrlichen Einbettung in die umgebende Parklandschaft für uns und die vielen weiteren "Wiederholungstäter", aber wohl auch für Erstteilnehmer eine Woche lang eine zweite Heimat

Als aktive Dozenten waren teils von Iserlohn bekannte, teils neue Gesichter eingesetzt: Wie stets Gerald García, das "Maskottchen" der Veranstaltung, stets zu Verrücktheiten aufgelegt, in der Sache der Musik als Dozent und Ensemblekomponist jedoch ebenso konsequent wie seriös; weiterhin -ohne Anspruch auf Vollzähligkeit-: Dale Kavanagh, Laura Young, Frank Gerstmeier, die Brüder Adam und Bruce Holzman, Tom Johnson, Ulrich Stracke, Andrea Vettoretti, Michael Newman, die Zwillingsbrüder Katona, Hans-Werner Huppertz und Roberto Limón.

Als Duo hatten wir Unterricht bei Ulli Stracke (mit den "Drewries Accords" anonymer Herkunft und mit "Villanesca", der Nr. 4 der spanischen Tänze von Granados); ernsthaft, klar und souverän die Anmerkungen Ullis zum Puls der Stücke und zur konsequenten Interpretation; weiterhin bei Frank Gerstmeier (Segovias "Divertimento"): ein ganz anderer Typ (quasi Rheinländer, mit Tendenz nach oben zum Fast-Saarländer), mit entsprechendem Lehrstil, aber musikalisch ebenso fundiert und fruchtbar; dann bei Michael Newman (mit der "Toccata" von Pierre Petit), dessen distinguierte, dadurch geradezu köstliche, aber von breiter und tiefer Allgemeinbildung geprägte Dozenturweise uns unvergessen bleibt, und schließlich bei Zoltan Katona (mit der Nr. 2 aus der "Tango-Suite" von Piazzolla), der das Stück mit seinem Brüder ebenfalls im Repertoire hat und uns zu vielen Passagen traumhafte Interpretationsvarianten vorspielte!

Die Einzelunterrichte überzeugten nicht minder: Zunächst musste ich bei Dale Kavangh die ihr schon lange angedrohte Stunde mit der "Invocación y danza" von Rodrigo überstehen ("überstehen" bezieht sich selbstverständlich auf das Stück!). Das Werk verfolgt mich mental seit 4 Jahrzehnten. Ich halte es -trotz seiner "ungitarristischen" Klippen, aber wegen des überzeugend konzipierten, durchgehenden Yin-Yang-Antagonismus - für eine der stärksten Originalkompositionen für Gitarre überhaupt. Die Stunde war ebenso herausragend wie notwendig, weil man bei der Komposition an mehreren Stellen auf fachmännischen -pardon: fachfraulichen Rat zur technischen und interpretatorischen Bewältigung angewiesen ist. (Für ein Format wie Dale bedeuten solche Hämmer kaum eine Herausforderung.) Jetzt kann ich getrost für den Rest meines Lebens zumindest das "Richtige" üben. In einer weiteren Stunde konnte ich bei Jérémy Jouve das "Preambulo" aus der Suite in D von Ponce vertiefen. Über dieses Stück, barocke Souveränität ausströmend und erhaben wie das Gebäude einer Kathedrale, hatten Segovia und Ponce sogar die Fachwelt erfolgreich für Jahre hinters Licht geführt und die Urheberschaft Alessandro Scarlatti angedichtet.

Zu den Konzerten: Den ersten Abend gestaltete Pepe Romero im vollbesetzten Parktheater Iserlohn. Profunde Technik, Erfahrung und Seelenverwandtschaft mit der Kultur und Mentalität Spaniens (Albéniz, Turina, de Falla und Tárrega u.a.) kennzeichneten erwartungsgemäß sein Spiel. Die 2. Hälfte geriet nach meinem Geschmack etwas zu flamencolastig, aber bei einem Pepe ist auch eine solche Auswahl durchaus legitim und für das überwiegende Publikum offenbar konsensfähig.

Den zweiten Abend - jetzt wieder in dem gewohnteren und nach meinem Geschmack wesentlich kultivierteren Interieur der Obersten Stadtkirche - gestaltete zunächst Dale Kavanagh mit Eigenkompositionen ("Briny Ocean", einem Arrangement des gleichnamigen Liedes aus ihrer kanadischen Heimat Nova Scotia, "Three Preludes", "Two Etudes for Roberto" und weiteren "Three Pieces"); Kommentar fast überflüssig: erwartungsgemäß souverän, zupackend, makellos- besser geht's nicht! Die zweite Hälfte galt dem Auftritt von Roland Dyens, dem "Keith Jarret der Gitarre". Wie stets bei ihm gab es keinen Vorabdruck der Titel, sondern jeweils seine mündliche Ansage zu den Eigenarrangements, weshalb mir auch nur der bekannte Gillespie-Titel "A night in Tunisia" erinnerlich ist. Das Echo auf das Konzert war in den Nachdiskussionen erwartungsgemäß gespalten vom schieren Enthusiasmus bis zur kritischen Distanz. Ich persönlich gehöre - mit Verlaub - eher zum Lager seiner Kritiker, aber auch hier gilt offensichtlich die modernere Maxime: Erlaubt sei, was gefällt!

Am folgenden Tag erhielt das junge Baltic Guitar Quartet, dessen Mitglieder im Vorjahr schon als Schüler in Iserlohn waren, Gelegenheit zu einem kurzen Auftritt in der Kapelle auf dem Campus der Akademie. Leider waren die Platzverhältnisse so ausgereizt, dass ich in der Traube vor dem Gebäude stehend nur dumpfe Klänge mitbekam. Dem Vernehmen nach war der Auftritt mit Stücken von Boccherini, Bizet und einer für das Quartett geschriebenen aktuellen Komposition von Jonas Tamulionis jedoch sehr gelungen. Den ersten Teil des Abendprogramms in der Stadtkirche gestaltete das Duo Michael Newman/Laura Oltman mit solider Technik auf der Grundlage ausgewachsener musikalischer und interpretatorischer Erfahrung. Neben Stücken von Dusan Bogdanovic und Augusta Read Thomas interessierten uns als Duo wegen des vergleichbaren Repertoires verschiedene Arrangements von Albéniz-Stücken , die sehr überzeugend rüberkamen.

Nach ungeteilter Einschätzung den überragenden Höhepunkt des Abends bildete aber der anschließende Auftritt des jungen französischen Duos Judicael Perroy und Jérémy Jouve. Klänge vom Allerfeinsten, traumwandlerische Technik, ausgefeilte Musikalität - nur Superlative sind hier zugelassen! Beide konnten sogar einem Napoleon Coste großartige musikalische Inhalte entnehmen (oder verleihen); Rodrigos "Tonadilla", die mich kompositorisch keinesfalls vom Hocker reißt, hört man anderswo live kaum so makellos und überzeugend. Getrost darf man das Duo ohne Ahnenschändung schon jetzt in die Ebene Presti/Lagoya und Abreu einreihen! Den Höhepunkt musikalischer Vollendung -alle anderen Interpreten, deren Leistung ich nicht schmälern möchte, mögen verzeihen - bildete dann ihre Interpretation des Capriccio BWV 992 ("Auf die Abreise des geliebten Bruders"). Für mich - trotz des für Bach irdischen Kompositionsanlasses - eine Darbietung von ergreifender, überirdischer Dimension, nicht von dieser Welt! Minuten reinen Glücks, in denen man um Fassung rang. Für mich war und bleibt der Thomaskantor unerreicht! (Sollte die pointiert klingende Aussage eines Bekannten in der Tat zutreffen, wonach die geistige Spitzenkreativität der Menschheit sich im Jahre 1750 verabschiedet hat?)

Am folgenden Abend empfahl sich Adam Holzman, ausgestattet mit einem bärenstarken Ton, zunächst mit dem "Capriccio detto il Gran Monarca" (gemeint ist der Habsburger Ferdinand II) des Renaissancelautenisten Pietro Paolo Melii da Reggio (die Noten musste ich mir sofort am nächsten Tag besorgen), dann mit der Carulli-Sonata op. 21 Nr. 1, dem "Triptych" von Mark Cruz und drei Stücken von Bárrios. Alles überzeugte: der Klang, die Kraft, die Werkauswahl und das künstlerische Verständnis! Der anschließende Auftritt des Tantalus-Quartetts mit Stücken von Mozart, Paraskevas, Domeniconi und Dyens war (fast) makellos, aber nicht von solcher erinnernder Prägung wie das zuvor Gehörte.

Der Donnerstagabend gehörte zunächst Laura Young, einer bekannten und stetigen Größe in Iserlohn. Ihre Interpretation der Bach-Chaconne (erkennbar ihr Leib- und Magenstück) war ebenso lupenrein wie kraftvoll, nach meiner Vorstellung fast schon unmenschlich perfekt. Aber ein Menschheitsvermächtnis wie die Chaconne wahrt seine monumentale Größe unbeirrt, gleich wie man an es angeht. Neben anderen, mir bisher völlig unbekannten Werken verdient die von der Gitarristin selbst arrangierte Suite Nr. 3 op. 131 von Max Reger gesonderte Erwähnung: Abermals wurden hier die vermeintlichen Grenzen des technisch Machbaren verschoben. Wer das Werk nicht kennt, konnte aber gerade wegen seiner Komplexität und Virtuosität in dem Live-Konzert kaum Linie und Struktur nachvollziehen. Diese Kritik gilt nicht der zweifellos bravourösen Darbietung, sondern der Werkauswahl. Allgemein formuliert: Macht die Live-Darbietung eines Hammerwerks noch Sinn, wenn der Hörer schlicht "erschlagen" wird und kein bereichernder Inhalt zurückbleibt? In der zweiten Hälfte des Abends unterhielten dann die Katona-Zwillingsbrüder um so mehr mit zwar bekannten, aber erfrischend neuartig dargebotenen Stücken u.a. aus dem "Dreispitz" von de Falla (zuweilen glaubte man ein Orchester, nicht "nur" zwei Gitarren zu hören), mit der Französischen Suite Nr. 5 BWV 816 (für meine Begriffe waren die schnellen Sätze fast zu schnell geraten und erlaubten daher nur schwerlich noch die Assoziation mit dem gebotenen "esprit classique" dieser Suite) und der "Mallorca" von Albéniz, einer wunderschönen Zeichnung der vor einem Jahrhundert noch paradiesischen Insel! Die Zugabe, u.a. eine rasend gefeuerte Scarlatti-Sonate (K.141), war ein Genuss! Hier wiederum waren Technik und Geschwindigkeit geboten und überzeugend präsentiert.

Freitags war erstmals die zur Anlage benachbarte Johanneskirche "Austragungsort", ein Gebäude mit dem äußeren Charme der Sechziger, aber um so überzeugenderer Innenakustik. Die Bühne gehörte im Wechsel mal dem Amadeus Guitar Duo mit Thomas Kirchhof und Dale Kavanagh (Hut ab vor Thomas, der nach einer solchen Kampfwoche noch imstande war, die G-Dur-Chaconne von Händel mit Dale und anderes mehr meisterhaft darzubieten!), mal Dale alleine (u.a. mit den bekannten, aber niemals abgestandenen Pretiosen aus dem "Thesaurus harmonicus" von Prätorius), mal dem wie immer bestens aufgelegten Duo Eden/Stell (mit herausragenden Interpretationen u.a. des minimalistischen "Generator" von Gary Ryan und der "Estampas" von Tórroba), mal allen Vieren als Quartett (u.a. mit dem 3. Brandenburgischen Konzert). Nach einhelliger Bekundung ein höchst gelungener Ausklang der Profi-Konzertreihe!

Den letzten Tag mit dem Konzert ausgewählter Schüler konnten wir nicht mehr mitnehmen, weil zuhause noch andere Pflichten auf uns Familienväter warteten. Um so intensiver gestaltete sich der Vorabend der Abreise in den Aufenthaltsräumen der Akademie. Aspirin gehört nach der Gitarre zu den wichtigsten Erfindungen der Menschheit! Schon die Abende zuvor ergaben für uns eine äußerst interessante Bekanntschaft mit einem holländischen Komponisten und Musikwissenschaftler (Rolf Straver), der uns eine Duo-Komposition versprach. Sie liegt uns inzwischen bereits vor und klingt vielversprechend!

Auch der weitere Rahmen ließ während der Woche keine Wünsche offen: die Noten-, Zubehör- und Instrumentenaussteller (u.a. Chanterelle, Trekel, Schneider, Fredholm u.v.m.) waren wie immer dicht umringt, das Angebot überreich und die Testmöglichkeiten unbegrenzt. Sogar ein örtlicher Fernsehkanal interessierte sich für das Ereignis und drehte mit Interviews live das Randgeschehen mit uns Saiteneinsteigern.

Ein bisschen Wehmut verspürte ich beim Abschied, denn die Evangelische Kirche wird das "Haus Orthlohn" veräußern. Es gehört als Tagungs-und Unterbringungsort des Symposions also der Vergangenheit an. Aber wer Thomas Kirchhoff kennt, weiß, dass er Bewährtes nur gegen noch Besseres eintauscht: Ab dem kommenden Jahr wird das wenige Kilometer nordwärts gelegene "Haus Villigst" vor den Toren von Schwerte, ein aus dem 12. Jahrhundert stammendes, soeben auf den neuesten Stand des Komforts und der multimedialen Kongressanforderungen gebrachtes Rittergut, das Symposion beherbergen. Ich habe mir während der Woche einen kleinen Abstecher dorthin erlaubt. Der Eindruck war großartig: die Gebäude ebenso wie die Einbettung der Anlage in einen Gutspark unmittelbar am Ufer der dort noch unberührten Ruhr! Ein Stück "alter Heimat" bleibt jedoch: die Abendkonzerte werden nach wie vor in der Obersten Stadtkirche Iserlohn (für die Teilnehmer erreichbar per Bustransfer) stattfinden. Ich freue mich schon jetzt auf das kommende Symposion und weiß, dass es dank Thomas und seiner emsigen Helfer bei weltweit ununterbotenem Preis-Leistungsverhältnis ebenso gelungen und rund sein wird wie die bisherigen Veranstaltungen!

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