Weltspitze und noch immer im Steigflug
Dr. Friedemann Kiefer
Zwanzig Jahre internationales Gitarren Symposium, viele Stammgäste, vertraute Dozenten, das klingt wie eine sichere Formel für Routine, eingefahrene Prozeduren und uninspirierte Langeweile. Leider, falsch, völlig falsch - wer dieser Vermutung erliegt, war garantiert nie zu Gast in Iserlohn oder Schwerte. Die verlässlichen Konstanten bei diesem Symposium beschränken sich auf die über jeden Zweifel erhabene Spitzenqualität der konzertierenden Künstler und Dozenten, die erstklassige Verpflegung und den vertraut kantigen Alleinherrscher Thomas K. Seit dem Ursprung des Festivals in 1991 ist Thomas Kirchhoff ohne Zweifel der Dreh und Angelpunkt, der Garant des Symposiums. Er steht für die musikalische Qualität, aber auch organisatorische Konstanz und Verlässlichkeit bis ins Detail. Thomas Kirchhoffs Engagement and Enthusiasmus ist es zu verdanken, dass das Symposium es über 20 Jahre geschafft hat der Schwerkraft zu trotzen und zu einem, bislang ununterbrochenen, Höhenflug ohne gleichen angesetzt hat.
Schon der Wahl des Namens war ein Geniestreich, egal ob nun weitsichtig geplant oder einfach scharfsinnige Intuition. Wer zweifelt gebe einfach Gitarrenfestival bei Google ein und wird mit 189.000 Treffern belohnt, von Hersbruck über Gevelsberg, Paderborn, Osnabrück; Heinberg, Nürtingen geht's in die Schweiz, Österreich, Italien. Gitarrenfestivals wie der sprichwörtliche Sand am Meer. Gitarrensymposium liefert genau 1.920 Treffer wovon mehr als 80 der Top 100 sich auf Iserlohn / Schwerte beziehen. Die größte Herausforderung der letzten Jahre dürfte der Transfer des Festivals vom Tagungszentrum Haus Orthlohn in Iserlohn nach Haus Villigst in Schwerte gewesen sein. Kirchhoff hat es aber auch da geschafft die Kontinuität zu wahren und das Festival ohne merkliche Brüche in Schwerte untergebracht. Die neue Tagungsstätte bietet mehr Komfort, neue Möglichkeiten und sicherlich mehr Platz für zukünftige Entwicklungen.
Trotz aller Konstanz entwickelt jedoch jedes Festival seine eigene Atmosphäre, sein eigenes Flair. Der unverwechselbare Charakter, wird vorrangig durch die jedes Jahr neue Kombination aus konzertierenden Künstlern / Lehrern und Studenten geprägt. Er manifestiert sich in den Interaktionen während der Meisterklassen, während der gemeinsamen Mahlzeiten und Kaffeepausen aber besonders auch in den Partys nach jedem Konzert, die oft bis in den Morgen andauern. Neben den Masterklassen denen alle Teilnehmer zuhören können, sind die Abendkonzerte Höhe- und Mittelpunkt der gitarristischen Festivalwelt.
Es würde hier zuviel Platz einnehmen alle Abendkonzerte detailliert zu besprechen. Ich habe daher eine sehr persönliche, notwendigerweise auch subjektive, Auswahl getroffen, um die mir wichtigsten Glanzpunkte vorzustellen. Es muss jedoch betont werden, dass die musikalische Qualität aller Abendkonzerte herausragend war, was sich deutlich in der Zahl der stehenden Ovationen spiegelt, die das Iserlohner Publikum nie leichtfertig vergibt.
Das Eröffnungskonzert ist traditionell der erste Höhepunkt des Festivals, was auch in diesem Jahr wieder zutraf. Wie alle weiteren Abendkonzerte fand es in der wohl vertrauten obersten Stadtkirche Iserlohn statt. Zwei Duos, das Amadeus Duo und Gruber / Maklar taten sich mit dem Organisten der St. Aloysius Kirche in Iserlohn zusammen, um mit vier Gitarren und einer wundervollen Aufführung von Domeniconis Oyun das Festival zu eröffnen. Das zweite Stück des Abends, das Adagio aus Rodrigos Concierto de Aranjuez wurde von Dale Kavanagh und Tobias Aehlig als Zwiesprache zwischen Gitarre und Orgel ausgestaltet. Eine Konversation zwischen dem mächtigsten und dem wahrscheinlich intimsten Instrument der akustischen Welt, kann diese unerwartete Instrumentierung funktionieren? Erstaunlich gut, vom Begin des Satzes an hatte Dale Kavanagh das Publikum in ihrem Bann, die Orgel war nicht überwältigend und da waren sie auch schon, diese magischen Momente, die dieses Adagio immer noch hervorzurufen vermag. Die Fairness gebietet es hier zu erwähnen, dass für das Eröffnungskonzert eine sehr gut balancierte Verstärkeranlage zur Verfügung stand, die den Gitarristen half einige der akustischen Totpunkte der Kirche zu überwinden. Nach der Pause übernahmen Bandini and Chiachiaretta in beeindruckender Weise die zweite Hälfte des Abends und wie immer waren ihnen die schmachtenden Seufzer der weiblichen Zuhörerschaft sicher. Das satanische und das göttliche Prinzip vereint auf der Bühne. Cesare Chiacchiaretta mit einem Bein fest auf einem Stuhl mit feuerrotem Überwurf verwurzelt, direkt der Hölle entstiegen, während Giampaolo Bandini mit einem Bein in der Luft, noch halb zwischen Himmel und Erde schwebte. Ihre Darbietung war wie immer fesselnd, nach Piazolla folgte Villodo's El Choclo und dann wieder Piazolla. Ein Heimspiel für Tango-Liebhaber, aber auch wer Tango nur mag wird diese Musik nach Bandini and Chiacchiaretta lieben. Wer Tango hasst sollte in jedem Fall Bandini and Chiacchiaretta hören, nach dieser Vorstellung besteht eine gute Chance, dass sie zum Tango-Liebhaber konvertieren (oder zumindest ihre Frau). Cesare Chiacchiaretta hat die ungeheuere Fähigkeit eine ganze Welt in einer Note auszudrücken, ein Ton der aus der Ferne langsam anschwillt, lauter wird, im Raum hängt, nur um langsam zu verebben, während das Publikum versucht jede Note festzuhalten. In Giampaolo Bandini hat er einen kongenialen Duopartner gefunden, der nebenbei als Ausnahmegitarrist und beeindruckender Lehrer in vielen Meisterklassen zu überzeugen vermochte.
Als nächstes Konzert muss der Auftritt von David Russell am Montagabend erwähnt werden. Russell, ein wohlbekannter Gast in Iserlohn, ist inzwischen so bekannt, dass er als Sologitarrist weithin als der Nachfolger von John Williams betrachtet wird. Russell ist technisch ohne Makel und beherrscht das ganze Spektrum vom Barock über die romantische Literatur bis zu den spanischen Klassikern. Nach Regondis Reverie führte Russell eine neue, einzigartige Transkription von Händels Suite #7 auf, nach der Pause gefolgt von vier Bach Sinfonias. Es gelang ihm alle Stücke mit unerreichter Präzision aber trotzdem gefühlvoll und mit höchster Musikalität darzubieten. Den Abschluss bildeten fünf Werke von Albeniz. Aus meiner Perspektive waren jedoch seine Barocktranskriptionen der Höhepunkt des Abends. Ich kann mich nicht erinnern David Russel je so hart auf der Bühne arbeiten gesehen zu haben, fokussiert bis zur letzten Faser, ein Weltklassegitarrist auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Natürlich wurde dieser Umstand vom fachkundigen Iserlohner Publikum sofort mit einer stehenden Ovation gewürdigt, wofür Russel mit drei Zugaben dankte.
Neben den Abendkonzerten bietet das Symposium jungen talentierten Künstlern die Möglichkeit sich in einem Nachmittagskonzert in der Kappelle des Tagungszentrums Villigst zu präsentieren. Für einige Künstler, waren diese Konzerte wichtige Karrierestationen, sie sind inzwischen selbst auf den großen Konzertbühnen erfolgreich und als Lehrer am Symposium tätig. In diesem Jahr hoben sich besonders drei junge Damen durch außergewöhnliche Vorstellungen ab. Kathrin Endrikat wusste mit Telemann, Konstantin Vassiliev and Joaquin Turrina zu beeindrucken. Die zweite Hälfte des Konzerts spielte das gleichermaßen beeindruckende Duo Arabesque, von dem man sicher noch mehr hören wird. Duo concertant Op.31 No.1 von Antoine de Lhayer, Tango von Paulo Belluati und die unvermeidliche Premiere Arabesque von Claude Debussy ließen das Publikum beeindruckt zurück.
Den Dienstagabend eröffnete das brillante Duo Montes Kirchner mit einem Blick in die Melodien und Rhythmuswelt Südamerikas. Montes Kirchner schlossen ihr Programm mit einer Feier venezuelanischer Musik, für die Alfonso Montes die Gitarre gegen die traditionelle Cuatro eintauschte, ein anregender und erfrischender Schritt. Manche Künstler gebrauchen die Zugabe, um schon etwas abgenudelte Hits unterzubringen oder einfach technisch nochmals zu glänzen. Alfonso Montes and Irina Kirchner lieferten hier ein Lehrstück ab, wie im Prinzip beides möglich ist ohne geschmacklos zu werden. Aus dem alten Aufzugshit Tico Tico wurde ein faszinierendes virtuoses Feuerwerk, das Irina auch sofort die wohl verdiente stehende Ovation einbrachte.
Die zweite Hälfte des Dienstagabends wurde mit großer Spannung erwartet. Der hoch gehandelte Jorge Caballero war zwei Jahre zuvor auf kurzen Zuruf von etwas mehr als einem Tag für den erkrankten John Williams eingesprungen. Und er hatte das unmögliche geschafft, er hatte John Williams ersetzt, allerdings mit nichts weniger als einer Transkription der kompletten 9th Symphonie von Dvorak für die Gitarre. Viel mehr geht nicht sollte man denken, also mussten es dieses Jahr schon die Bilder einer Ausstellung von Moussorgsky sein. Die technische Schwierigkeit, aber auch Caballeros außergewöhnliche Meisterschaft des Instruments waren vom ersten Moment an greifbar. Ein Feuerwerk der Farben und Ideen, die komplexen polyphonen Linien, extensive Lautmalerei vom Tanz der Kücken bis zum Einfingertremolo um die Balalaika zu simulieren, bis sich schließlich das große Tor von Kiev schloss und das Publikum sich ohne zögern unter frenetischen Beifall erhob.
Der letzte Höhepunkt, ein absoluter Höhepunkt aus einer anderen Dimension: Aniello Desiderio, für ihn scheinen keine Limits der Gitarre zu gelten, er scheint alle Grenzen zu sprengen, als Gitarrist und überhaupt. Sein Ton, so vollendet und rund, scheint nicht aus dieser Welt zu kommen, sein Dynamikbereich, größer als jeder Gitarrist den ich kenne, sein Selbstbewusstsein astronomisch. Brower, Albeniz, Scarlatti, Toroba manchmal scheint es, als hätten sie nur für diesen Agniello Desiderio komponiert, um durch ihn aufgeführt aber auch transformiert zu werden. Ja, seine Interpretationen sind zuweilen anders, eigenwillig, aber stets schlüssig, überzeugend und von höchster Musikalität. Das Publikum hält den Atem wenn er pianissimo spielt, feiert ihn frenetisch und lässt ihm eine einzige Zugabe begeistert durchgehen, wer kann das sonst schon?
Wie jedes Jahr bildete auch dieses Jahr das Studentenkonzert den großen Abschluss und wie jedes Symposium wurde auch dieses durch die Welturaufführung eines Ensemblestückes von Gerald Garcia, dieses Jahr mit der armenischen Bratsischtin Armine Abrahamyan aufgeführt, gekrönt. Das Studentenkonzert ist vielleicht der greifbarste Beweis für die Qualität und den Erfolg des Symposiums und demonstriert seit 20 Jahren das ständig steigende Niveau der klassischen Gitarre. Wird sich die Gitarre weiterentwickeln und wird das Symposium weiter wachsen und neue Überraschungen hervorbringen? Ich bin mir ganz sicher, aber der beste Weg dürfte sein sich anzumelden und im nächsten Jahr selbst dabei zu sein.